Besuch aus Israel

Dorit Daniel, ihr Mann Shaul sowie ihre Söhne Carmi und Amir hatten vor Wochen die Heimatseite des HVD im Internet „gefunden“ und nach Kontaktaufnahme den Entschluss gefasst, sich einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen und den Ringgau – die Heimat der Mutter und Großeltern von Dorit – zu besuchen. Also machten sie sich jetzt von Israel auf den Weg.

Dorits Großmutter war die Henriette (Jettchen) Loewenstein, die als Witwe des 1917 im Ersten Weltkrieg gefallenen Moritz Loewenstein bis 1937 in Netra wohnte. Sie hatte durch den Kriegstod ihres Mannes noch die Möglichkeit, Deutschland 1937 mit ihren drei erwachsenen Kindern, darunter Trude, die Mutter von Dorit, zu verlassen. Nach dem Verkauf des Hauses an die Familie Anhof, deren Sohn Fritz das Haus Brauhausstraße 19 heute noch bewohnt, zog sie in den Kibutz Ma’abarot in Palästina, wo auch ihre Nachfahren im Staate Israel noch heute leben.

Nach dem Kennenlernen am Abend des 23. April im Landhotel Fasanenhof, wo bereits viel über die Familiengeschichte gesprochen wurde, machten sie sich in Begleitung von Teilen unseres Vorstandes am anderen Morgen auf, das Grab ihres Vorfahren auf dem Judenfriedhof zu Netra und das Wohnhaus der Jettchen Löwenstein zu besuchen. Auch Bürgermeister Klaus Fissmann ließ es sich nicht nehmen, die Familie zu begrüßen. Als Erinnerung überreichte er ein Exemplar des Buches „Jüdisches Leben in einem hessischen Dorf – Aus den Lebenserinnerungen Ludwig Rothschilds“, eines einstigen Bewohner Netras. Als Gegengeschenk übergab die Familie Daniel ein Buch über Israel gestern und heute, das die Gemeinde den Einwohnerinnen und Einwohnern zur Verfügung stellen möchte.

Es war ergreifend, als die Daniels sich Grabstein für Grabstein ansahen, sich mit den hebräischen Inschriften, insbesondere aber mit den Namen der Toten beschäftigten. Man konnte viel über die Symbolik der eingemeißelten Details erfahren und die Besucher nahmen sich Zeit, den Anwesenden Erläuterungen zu geben.

Als sie dann am Grab des Groß- bzw. Urgroßvaters standen, hielten sie inne, legten dem jüdischen Brauch folgend Steine auf das Grabmal und zündeten Kerzen an. Der jüngere Sohn war so ergriffen, dass er Tränen vergoss. Familie Daniel zeigte sich erfreut, dass der Friedhof in einem sehr ordentlichen Zustand ist, wobei Bürgermeister Fissmann ihnen noch berichten konnte, dass demnächst weitere Arbeiten erfolgen werden. Auf dem Weg zum Fahrzeug zurück fand man auch noch den Grabstein des Vaters von Moritz, dem Levy Loewenstein.

Der nächste Halt galt dem Kriegerdenkmal in Netra, wo auch Moritz Loewenstein verzeichnet ist. Mit Freude quittierten die Besucher die Tatsache, dass ihres Vorfahren noch in dieser Form gedacht wird.

Höhepunkt war dann zweifellos der Besuch im Haus der Vorfahren. Fritz Anhof, der in der Vergangenheit schon einige Nachfahren Netraer Juden begrüßen konnte und selbst Israel besucht hat, erläuterte sehr detailreich die Geschichte des Hauses, in dessen hinteren Bereich einst die Synagoge gestanden hatte. Nachbarn kamen hinzu und erzählten von ihren Erlebnissen aus den Tagen vor der Nazi-Zeit. Sie hatten zum Teil noch mit der bereits verstorbenen Mutter von Dorit, Trude Loewenstein, im Sand gespielt. Die Familienverhältnisse waren ihnen nur zu gut bekannt. Schnell kamen alte Fotos auf den Tisch und man erläuterte auch, wie die baulichen Gegebenheiten bis vor knapp 70 Jahren waren. Herr Anhof holte dann noch den Kaufvertrag von 1937 hervor, den sein Vater einst mit Jettchen und Trude Loewenstein abgeschlossen hatten. Er erzählte auch, dass sie Anfang der 1950er Jahre noch einmal DM 3500,-- an den Wiedergutmachungsfonds für das Haus aufbringen mussten. Ein alter Lageplan von 1869 war auch noch vorhanden, auf dem das Anwesen des Levy Loewenstein, seines Nachbarn und der Synagoge eingezeichnet sind. Die Besucher waren von der Aufnahme im Haus der Vorfahren, der Gastfreundschaft und den vielen Informationen sehr, sehr angetan.

Nach dem Überreichen eines Geschenkes für Herrn Anhof besichtigten wir mit den Gästen noch das „Baumkreuzdenkmal“ an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, bevor ein Besuch in unserem Museum das Programm abschloss.

 

Die Daniels werden in Israel bei der Verwandtschaft „Werbung“ betreiben, damit auch diese sich einmal aufmachen, die herrliche Heimat ihrer Vorfahren zu besuchen. Von dieser Stelle auch noch einmal ein großes Dankeschön an alle, die diesen Besuch für die Daniels zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben.

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