Lesung über die Boyneburg

Fantastische Resonanz – Besucheransturm im „Haus des Gastes“

Der Heimatverein Datterode e. V. freute sich, dass er Dr. Thomas Diehl, Grandenborn, für die diesjährige Lesung gewinnen konnte, führt doch der Verein das Abbild der Burgruine in seinem Logo und sind doch unsere Region und unser Dorf auf besondere Weise mit der Boyneburg verbunden. Diese Freude wurde von achtzig (!) Gästen geteilt, so dass der Veranstaltungsraum im „Haus des Gastes“ am Nachmittag des 13.11.2011 aus den Nähten zu platzen drohte. Weitaus mehr Interessierte als erwartet  fanden den Weg, so dass sämtliche Stühle im Gebäude zusätzlich zusammengesucht und sogar von einer Anwohnerin noch heimische Stühle flugs herbeigeschafft wurden. Die gespannte Zuhörermenge wurde nicht enttäuscht:

Dr. Diehl hatte seine Dissertation mit dem Titel „Adelsherrschaft im Werraraum. Das Gericht Boyneburg im Prozess der Grundlegung frühmoderner Staatlichkeit“ als Buch verlegt. Dazu schrieb die Werra-Rundschau am 28.08.2010 u. a.: „Im Übergang vom 16. zum 17. Jh. war den niederadligen Herren von Boyneburg, ehemaligen Reichministerialen, etwas ganz Erstaunliches gelungen: Innerhalb der Landgrafschaft Hessen hatten sie gewissermaßen ihr eigenes kleines Territorium errichtet, das zwar nur aus der Burg und 19 umliegenden Orten bestand, über das sie aber mit fürstlichen Vollmachten regierten. Und nicht einmal der Landgraf konnte dagegen etwas unternehmen. Dies ist eines der Ergebnisse, zu denen der gebürtige Grandenbörner Thomas Diehl in seiner Doktorarbeit gelangt. Thomas Diehl wohnt inzwischen wieder in Grandenborn, doch was lag für ihn, der am Fuß der Boyneburg aufgewachsen ist, näher, als sich das Thema der Herrschaftsstruktur im Gericht Boyneburg für seine Abschlussarbeit an der Universität Kassel zu wählen? Nachdem er dreieinhalb Jahre daran geschrieben hat, liegt diese mit der Unterstützung der Historischen Kommission für Hessen nun in Buchform vor. Sechsundzwanzig Regalmeter Quellen im Marburger Staatsarchiv habe er dazu durchgearbeitet, erklärte Otto von Boyneburgk nicht ohne Stolz auf den jungen Mann …“

Die Universität Marburg veröffentlichte dazu: „Die Untersuchung widmet sich den Prozessen der Staatswerdung bzw. Territorialisierung in der frühen Neuzeit und untersucht diese am Beispiel der Herrschaft der Adelsfamilie von Boyneburg im Werraraum. Sie geht aus von den (spät-)mittelalterlichen Strukturen und Bedingungen, um folgend die Entwicklung hin zu frühmodernen, staatlichen Formen und Merkmalen von Herrschaft differenziert nachzuzeichnen. Dabei behält sie die aus der Herrschaftsintensivierung entstehenden Spannungen zwischen hessischer Fürstenherrschaft, boyneburgischer Adelsherrschaft und den betroffenen Untertanen sowie deren vielschichtigen Interdependenzen im Blick“ (www.online.uni-marburg.de/hiko-marburg/images/FlyerDiehlAdelsherrschaften.pdf).

Gebannt folgte das Publikum – darunter selbstverständlich auch HVD-Mitglied Otto von Boyneburgk nebst Gattin – den zusammengetragenen Fakten des Autoren, der aus seinem 482 Seiten umfassenden Werk referierte und anhand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sehr viel Neues für die Menschen „rund um die Boyneburg“ darzustellen wusste.

Die Bedeutung der Boyneburg für Hessen, das besondere Verhältnis des Gerichts Boyneburg und der Adelsfamilie zum Landgrafen in Kassel, der Einfluss des Religionsstreites zwischen der Lehre Luthers und Calvins auf die Region waren hoch spannend und interessant. Erstaunen über die historischen Tatsachen ("Datterode, die landgräfliche Insel im Boyneburgischen Gericht") gehörte als Reaktion ebenso dazu wie Richtigstellungen allgemeiner und überlieferter Erkenntnisse. Nur logisch, dass die Gäste im Anschluss viel Gesprächsstoff mit nach Hause nahmen, oder vor Ort untereinander, aber auch mit dem Autoren zu bereden hatten. Über allem schwebte fühlbar die hohe Identifikation und Symbolkraft der Menschen der Region zu „ihrer“ Burg. Ein großartiges, komprimiertes, zum Teil speziell auf Datterode zugeschnittenes Referat. Wer hatte bisher schon definitiv die tatsächliche Rolle des Datteröder Pfarrers und zugleich - seit Barbarossas Kapellenstiftung - Kaplans der Boyneburg gekannt? Datterode, als historisch „eigentlich dem Landgrafen“ (seinerzeit zugleich Bischof) Untertan – der Pfarrer also im Widerstreit der Interessen, entlohnt durch das landgräfliche Dorf, aber auch durch die von Boyneburgk, die bis zum 30-jährigen Krieg die Entlohnung wegen des Religionsstreits versagten! Ein hoch spannender Ausflug in das Spätmittelalter. Bravo! Als Dankeschön für den tollen Vortrag überreichte der HVD-Vorsitzende Dr. Diehl eine Flasche „Vereinswein“. Bevor der HVD-Ehrenvorsitzende Karl Beck zum Abschluss aus Anlass des Volkstrauertages das Lied „vom guten Kameraden“ auf der Mundharmonika intonierte, belohnte das Publikum den Autoren mit lang anhaltendem Applaus.

 

Mit dem Autoren und dem Thema hatte der HVD erneut ein glückliches Händchen und fühlt sich bestärkt, die jährliche Lesung auch im kommenden Jahr (dann bereits die siebte Jahreslesung in Folge) zu planen. Bei allen Besucherinnen und Besuchern bedanken wir uns auf diesem Wege nochmals herzlich für ihr Interesse. Unserem Gast aus dem Ringgau gebühren unser Respekt, unsere Hochachtung und ein großes Dankeschön für einen sehr gelungenen Nachmittag.

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