Spurensuche

Dramatische Geschichten schreibt das Leben …

Am 14. März 1883 erblickt Siegmund Löbenstein als zweites von vier Kindern der jüdischen Eheleute Herz und Bertha Löbenstein in Datterode das Licht der Welt. Siegmund kann weiterführende Schulen besuchen und studiert Jura in Straßburg. Er promoviert und lässt sich in Herne nieder. Als Rechtsanwalt und Notar ist er auch Abgeordneter der SPD im Stadtparlament. Er heiratet Luise Strobel, eine Christin. Aus der Ehe gehen die beiden Mädchen Margot (1922) und Helga (1927) hervor. Nach der Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten und der folgenden Gesetzgebung verliert Siegmund alle Zulassungen und Ämter. Er muss sich absetzen und verlässt Deutschland via Antwerpen, wo er als Arbeiter im Hafen seinen Lebensunterhalt verdient, Richtung USA. Dort ist es sein Bruder Julius, der ihm einen Anfang ermöglicht. Dieser war zuvor bereits in die USA ausgewandert. Siegmund, der Familie und Kinder vor Verfolgung schützen will, lässt sich von seiner Frau scheiden. Diese besucht ihn aber immer wieder – teils mit den Kindern – in Antwerpen bis zu seiner Auswanderung.

Luise schlägt sich mit ihren Kindern auf bewundernswerte Weise über die Kriegsjahre durch. Es gibt Hinweise, wonach die Kinder noch vor Kriegsende als „Halbjuden“ inhaftiert werden. Nach Ende der Nazi-Schreckensherrschaft kehrt Dr. jur. Siegmund Löbenstein zurück nach Deutschland. Er wird vom. „Jewish Trust“ als Advokat angestellt und kümmert sich um verwaistes jüdisches Eigentum und ficht für Glaubensbrüder und -schwestern, die sich um Rückgabe des Eigentums oder um Schadensersatz mühen. Dr. Löbenstein wird u. a. auch für Karl Pfifferling, den immigrierten Datteröder, tätig und erwirkt eine Entschädigung für das Eigentum der Pfifferling-Familie. Von deren sieben Familienangehörigen hatte nur Karl durch frühzeitige Immigration überlebt.

1948 heiratet Siegmund seine Luise wieder. Tochter Margot schenkt ihnen eine Enkeltochter, Karin. Diese wird als Soziologin Lehrerin und heiratet den Lehrer Wilhelm Rixkens in Bonn. War dem Ehepaar die Herkunft der Löbensteins aus Datterode durchaus bekannt, so hatten sie bis zu Karins Tod in 2014 die Region zwar besucht, aber noch keine bleibenden Kontakte geknüpft. Durch die Nachforschungen über die jüdischen Rechtsanwälte im Werratal der Herren Kollmann und König vom Stadtarchiv Eschwege wurde man einerseits aufmerksam; anderseits durch die Forschungen des Heimatvereins Datterode e. V. (HVD), der über Jahre die Spuren Datteröder Jüdinnen und Juden aufgearbeitet hatte. Durch eben diese Kontakte beflügelt, machte sich Herr Rixkens (Jahrgang 1936) nun auf, intensiv die „Urheimat“ der Löbensteins, das Dorf Datterode und die Kreisstadt Eschwege zu besuchen. Neben den „Stolpersteinen“ für weitläufige Familienangehörige in Eschwege und dem Besuch des Stadtarchivs interessierte naturgemäß der Geburtsort des „Schwiegergroßvaters“, das Ringgaudorf Datterode.

 

Betreut vom HVD begab sich der Gast auf Spurensuche. Der Familienname Löbenstein ist in Datterode nach wie vor bekannt. Ein Blick auf das noch existente Fundament des „Stammhauses“, das ehemalige Kaufhaus eines Familienzweiges, auf das einstige Wohnanwesen der Brüder Max und Baruch Löbenstein, sowie deren Lagerhaus an der Hauptstraße und auf das Gelände der vormaligen sog. „Judenschule“ ließen die historische Einbindung der jüdischen Bevölkerung im Dorf erkennen. Neben den noch vorhandenen Häusern führte der Weg auch zum jüdischen Friedhof zu Netra, wo Gräber der Löbenstein-Familie ebenso von einem historisch verwurzelten Leben in unserem Dorf künden.

 

Der HVD hat über Jahre Spuren der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sichern können. Viele bleibende Kontakte in alle Welt sind dadurch entstanden. Besucherinnen und Besucher der letzten Jahre haben immer wieder den Ort der Vorfahren aufgesucht. Durch die Arbeit des HVD fanden auch Familienangehörige wieder zusammen, die bis dato nichts voneinander wussten. Ein schöner Lohn auch für den HVD.

 

Beeindruckend, wie sich der Gast mit den Daten und Fakten aus der Familiengeschichte seiner Gattin beschäftigt. Dass der Besucher aus Bonn Fotos und Unterlagen der Familie Löbenstein mitbrachte und für das Archiv des HVD zur Verfügung stellte, ist eine große Geste. Man wird in Kontakt bleiben, dessen war man sich sehr schnell einig.

Wilhelm Rixkens nächstes Ziel wird Aschersleben in Sachsen-Anhalt sein. Dort war er als Kind aus Mönchengladbach während des II. Weltkrieges evakuiert. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

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