Fotos für den Vater

Besucherin aus Berlin am Wohnort der Vorfahren

Rachel Ring, in Israel geboren und in Berlin wohnhaft, nutzte einen Aufenthalt in der Region, um den Wohnort der Vorfahren und deren Gräber zu besuchen. Frau Ring entstammt der Familie Rothschild, einst eine große jüdische Familie mit Bindungen weit über die Region hinaus, die sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Netra zurückverfolgen lässt. Großvater Ferdinand Rothschild, 1908 in Netra geboren, wanderte 1934 nach Palästina, dem heutigen Israel, aus und entkam der Verfolgung des nationalsozialistischen Unrechtsstaates. Urgroßvater Hermann Rothschild, Jahrgang 1867, der später in Eisenach lebte, war die Immigration versagt. Von Eisenach aus wurde der seit 1932 verwitwete Metzger und Handelsmann wie viele andere Eisenacher Juden im September 1942 über Leipzig in das KZ Theresienstadt deportiert, wo er im Juni 1943 verstarb.

Während dem jüngeren Bruder Ferdinands, Sigmund (geb. 1915), ebenfalls noch die Flucht nach Palästina gelang, wurden der in Breslau wohnende Bruder Willi (geb. 1905) 1943 und Bruder Julius aus der Immigration in Belgien 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet. Der älteste Bruder, Leopold (geb. 1898), im Ersten Weltkrieg noch mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, wurde mit seinem Vater von Eisenach im September 1942 in das Ghetto von Theresienstadt deportiert, von wo er zwei Jahre später in das Vernichtungslager Auschwitz verbracht wurde. Das Schicksal teilte Schwester Jenny (geb. 1897), verheiratete Stern (Ehegattin des 1893 ebenfalls in Netra geborenen Moritz Stern, Viehhändler in Eisenach). Während ihr Ehemann noch 1938/39 nach Palästina emigrieren konnte und einem Sohn (Arthur, verstorben 1982 in Israel) ebenfalls die Flucht gelang, wurde Jenny (wohl zusammen mit dem zweiten Sohn Gerhard, geb. 1929) am 9./10. Mai 1942 von Eisenach via Weimar-Leipzig in das Ghetto Belzyce deportiert, wo sie ums Leben kam. Jenny führte nach Flucht des Gatten bis zu ihrer Deportation eine Pension für jüdische Menschen in Eisenach. Ein illiegaler Zufluchtsort in schwerer Zeit, wie sich Augenzeugen erinnerten. Für Jenny und Gerhard wurden zum Gedenken in Eisenach vor dem Haus Georgenstraße 36 zwei "Stolpersteine" verlegt.

Ferdinand, zweitjüngstes der insgesamt sieben Kinder (ein Bruder waren im Kindesalter verstorben) Hermann Rothschilds und dessen Frau Johanna (geb. Levi aus Ronshausen) heiratete in Palästina Sida Löwenstein, die zuvor aus Fulda immigriert war. Ferdinand kam nie wieder in das Land der Vorfahren. Wer wollte es ihm verdenken, hatten die nationalsozialistischen Mörder doch Vater, drei Brüder und Schwester ermordet. Seine Ehefrau Sida verstarb 1966, Ferdinand selbst im 77. Lebensjahr 1984. Dem Paar wurden zwei Söhne und sieben Enkelkinder geschenkt.

 

Eines dieser Enkelkinder ist Rachel Ring, die mit ihrem Lebensgefährten nun für den Vater in Israel, der in Kürze das 80. Lebensjahr vollenden wird, die noch vorhandenen Familiengrabsteine auf dem Jüdischen Friedhof zu Netra aufsuchen und fotografieren wollte. Unterstützt vom Heimatverein Datterode e. V. (HVD) suchte man die überwiegend noch in gutem Zustand befindlichen Grabmale der Rothschild-Familie auf. Ein bewegender Moment auch für den Ehrenamtler des HVD, als die Besucherin u. a. erstmals am Grab der Urgroßmutter Johanna stand und nach jüdischer Sitte einen Stein auf das Grabmal legte.

Der HVD-Vorstand, an den immer wieder Anfragen aus aller Welt zu diesem Thema herangetragen werden, führte die Besucher noch in Netra zu Häusern, die einst den Rothschilds gehörten. Bei Anni und Klaus Horn an der Rimbachstraße kam man kurz ins Gespräch über die „Rothschilds“. Als man in unsere dörfliche Mundart verfiel, sagte Frau Ring spontan, dass auch ihr Großvater Ferdinand hin und wieder einmal so gesprochen hätte. Gerade der weiche, eher thüringische Sprachklang erschien ihr vertraut. Ein bemerkenswertes Treffen vor einem dramatischen Hintergrund.

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