Der Aussichtsturm – „Der Berliner Turm“

Im Frühjahr 1957 entdeckte Günter Götting (+) im Kesselhaus des ehemaligen Flugplatzes in Eschwege eine zehn Meter hohe Eisentreppe, die langsam vor sich hinzurosten drohte. In einem Gespräch war schnell die Idee geboren, oberhalb von Datterode einen Aussichtsturm zu errichten. Auch der damalige Bürgermeister Mengel (+) war von der Idee angetan. Der Aussichtsturm sollte sich positiv auf die Entwicklung des Fremdenverkehrs auswirken und darüber hinaus auch eine Bereicherung für die gesamte Region sein.

Als historisches Beispiel diente der einst vom Werratalverein Eschwege auf dem Lotzenkopf (Hunsrücknase) errichtete Aussichtsturm, eines der beliebtesten Ausflugsziele seiner Zeit. Der Turm wurde am 4. und 5. Juni (Pfingsten 1933) anlässlich des 50jährigen Bestehens des Werratalvereins in einem feierlichen Akt seiner Bestimmung übergeben. Ein Schulausflug zum Aussichtsturm auf dem Lotzenkopf mit heimatkundlichem Anschauungsunterricht war immer ein Erlebnis besonderer Art. Das imposante, aus wuchtigen Baumstämmen gefertigte Bauwerk, von dem man eine herrliche Fernsicht hatte, wurde leider in den Nachkriegswirren demontiert und als Brennholz genutzt.

Das Wissen um den Turm wurde in die Datteröder Überlegung mit einbezogen. Die Eisentreppe konnte von der ehemaligen Liegenschaftsstelle des Flugplatzes günstig erworben werden. In ihre Einzelteile zerlegt, wurde sie zunächst auf dem Boden der Dreschmaschine von Georg Kümmel in der Untermühle über einen längeren Zeitraum zwischengelagert.

Der Aussichtsturm sollte auf dem Hüppelsberg, dem höchsten Punkt von Datterode (410 Meter hoch), errichtet werden. An gleicher Stelle stand bereits 1912 ein Holzturm, dessen Fundamente noch vorhanden waren. Von diesem Turm wurden im Übrigen während der Separation (Flurbereinigung) die Vermessungsarbeiten für die Einteilung der Grundstücke und der Verlauf der Feldwege vorgenommen. Bei klarem Wetter hatte man von hier eine gute Fernsicht in alle vier Himmelsrichtungen, unter anderem bis zum Inselsberg im Thüringer Wald, aber auch einen direkten Blick auf das Dorf Datterode und das gesamte Netratal. Laut Gemeindevertreterproto­koll vom 21. 6. 1957 sollte die Auswahl des Platzes zur Errichtung eines Aussichtstur­mes durch eine Kommission vorgenommen werden Am zweiten Pfingstfeiertag, den 10. Juni 1957, haben dann Bürgermeister Mengel, Günter Götting und Karl Beck die Örtlichkeit inspiziert und die ungefähren Maße festgelegt.

 An der Stelle des Vorgängerturmes wurden zwar zunächst Ausschachtungsarbeiten vorgenommen, der Turm aber dann doch weiter östlich errichtet. 15 Meter beträgt der Höhenunterschied zum ursprünglich gewählten höheren Standort. Nach eini­gem Schriftwechsel mit den Behörden über die Standort­frage und Finanzierung wurde die Baugenehmigung am 19. 1. 1959 vom Bauamt Eschwege erteilt. Ein Jahr später, am Samstag, den 30. Januar 1960 fand um 9.00 Uhr morgens mit einigen freiwilligen Helfern der erste Spatenstich statt. Auch eine Berliner Jugend­gruppe, die zurzeit in Datte­rode ihren Urlaub verbrachte, half kräftig bei den Ausschachtungsarbeiten mit

Bei einem Kostenvoranschlag von ca. 7.500,-- DM wurden an Zuschüssen bewilligt: Hessisches Ministerium für Wirtschaft und Verkehr 2.000,-- DM, Kreis Eschwege (Gebietszuschuss) 1.000,-- DM, Spendenaufkommen 1964,15 DM. Fördermittel und Spenden insgesamt 4.964,15 DM. Der Bau wurde überwiegend durch die Bauunternehmung, Firma Wilhelm Siemon und vielen freiwilligen Helfer errichtet. Die Baukosten betrugen: Firmenrechnungen und Materialkosten gesamt 5.859,45 DM. Wobei für einen Dachdeckergesellen 5,11 DM, Maurergesellen 3,85 DM, Maurer-Junggesellen 3,55 DM und einen Hilfsarbeiter 3,41 DM pro Stunde der Gemeinde in Rechnung gestellt wurden.



 Am 31. Juli 1960 fand schließlich die feierliche Einweihung statt.





Der Namensgebung des Turmes war eine kontroverse Gemeindevertretersitzung vorausgegangen. Während der Debatte hatte sich nämlich herausgestellt, dass die Symbolfigur für den Turm, der Berliner Bär aus Cornberger Sandstein, bereits im Besitz der Gemeinde war. Warum der Turm aber dennoch seinen heutigen Namen erhielt, geht aus einem von Karl Beck ver­fassten Gedicht hervor:

Er steht, der Turm.
Hoch auf des Weinbergs Rücken,
kann weit man in die Ferne blicken.
Berliner Turm wird er genannt.
Warum? Hört man in Stadt und Land.
Schau’ nur nach Osten und nach Berlin, die große Stadt,
man mittendurch geschnitten hat.
Nicht für die wird er „Berlin“ genannt,
die schon lange durchgebrannt;
auch nicht für die, die aus der Teilung scheffeln Geld
und dann verschwinden in die westliche Welt.
Nur für die heißt er Berliner Turm,
die standgehalten jedem Sturm,
die trotz Gefahr, Blockaden und Rabatz
stehen fest auf ihrem Platz.
Für sie wird er Berliner Turm genannt;
und damit auch für uns, für ein in Freiheit vereintes Vaterland.

Der Turm steht also als Sinnbild und Wahrzeichen für die Menschen, die der Teilung Deutschlands und somit auch Berlins trotzten und Gemeinschafts- wie Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelten.

Das beliebte Ausflugs- und Wanderziel erfuhr schon 1970 eine Renovierung für DM 7.300,--. Der Bau des Turmes an besagter Stelle war zwar seinerzeit einfacher und auch kostengünstiger, hatte aber zur Folge, dass er wegen der nachwachsenden Bäume 1994 mit einem enormen Kostenaufwand von 162.000 DM aufgestockt werden musste. Durch die exponierte Lage des Turmes erhält die Gemeinde Ringgau heutzutage Einnahmen durch installierte Funktelefonanlagen eines Netzbetreibers.

Der Berliner Turm erfreut heute und hoffentlich auch morgen Wanderer und Besucher, wenn sie weite Blicke zum Meißner, in das Werratal, den hohen Ringgau und das Thüringer Land werfen können.

Am 30. Juli 2010 veranstaltete der HVD eine Feier zum 50-jährigen Jubiläum der Einweihung. Bei großer Resonanz fanden wieder einmal Groß und Klein auf den Hüppelsberg und ließen den durch die Gemeinde auf Veranlassung des HVD frisch renovierten Jubilar hochleben.
Siehe dazu:"Berliner Turm - Jubiläum" würdig gefeiert

Im Jahre 2012 drehte der Hessische Rundfunk mit Unterstützung des HVD und der FFW Datterode einen wunderschönen Bericht über den "Berliner Turm" im Rahmen einer Serie über "Hessische Türme" (teils aber auch aus dem Grenzland - so u. a. über den Turm auf dm "Heldrastein"). Dazu können Sie den Bericht bei hr-online und auch die aktuellste Fimfassung (Neuzusammenstellung aus 2014) anschauen. Viel Freude bei dem liebevollen Bericht. In unserem Veranstaltungsarchiv 2012 finden Sie dazu ebenfalls einen Bericht.

Wer hätte das Folgende damals geahnt? Die Idylle im Bereich des Aussichtstrumes, über den auch der Hessische Rundfunk 2012 einen sehr gelungenen Fernsehbericht ausstrahlte (vgl. Bericht und Hessischer Rundfunk), blieb leider nach dem 50-jährigen Jubiläum nicht mehr lange erhalten. Die Digitalisierung des Funkverkehrs bedingte, dass das Land mit neuen Basisstationen einschließlich Sendetürmen überzogen werden muss. Die Gemeinde Ringgau hatte die Nutzung des Berliner Turmes wohl bereits 2012 dafür angeboten, um eine zusätzliche Wertschöpfung zu erhalten. Die Statik unseres "Veteranen" sei jedoch für die zusätzlichen Lasten nicht ausreichend gewesen, so dass 2013 "ohne langes Federlesen" im Einmündungsbereiches der Zufahrt zum "Berliner Turm" eine neue Funkanlage einschließlich Sendemast erstellt wurde. Der HVD war leider bei der Entscheidungsfindung nicht beteiligt oder freundlicherweise informiert worden. Alternativplanungen o. ä. sind nicht bekannt.Demnächst wird es im hr-fernsehen eine erneute Sendung aller "Türme Hessens" mit unserem "Berliner Turm" geben, bei dem "Hessens beliebtester Turm" gewählt werden kann. Die Beinträchtigung durch den aktuellen Eingriff in das Umfeld wird ohne Zweifel den Turm weit unter seinem Wert und seiner Bedeutung abkommen lassen. Nach der seinerzeitigen Ausstrahlung des Beitrages im hr-fernsehen (mittlerweile mehrfach wiederholt) konnte man ein großes Interesse an unserer Internetpräsentation zu unserem Aussichtsturm erkennen. Das Interesse wird wohl nunmehr Geschichte sein. Der neue "hässliche Bruder" unseres Aussichtsturmes ist keine Augenweide (siehe Foto) und für das beliebte Wanderziel "Berliner Turm" an den Wanderwegen 24 und 25 des Werratalvereines ohne Zweifel abträglich. Die Zuwegungen wurden sehr breit ausgebaut und geschottert. Es bleibt die Hoffnung, dass die Natur, die immer wieder zur Werbung für "sanften Tourismus, Wanderparadies" und dergleichen herhalten muss, in den kommenden Jahren einigermaßen diese grausamen Narben wird schließen können. Insbesondere hier am Standort letzter Orchideenarten. Einmal mehr zeigen sich Heimat- und Naturfreunde enttäuscht. Die zunehmenden Zweifel an eheranamtlicher Arbeit zum Wohle von Dorf, Gemeinde und Region kann man durch so etwas Kurzsichtiges gewiss nicht zerstreuen. Das Gegenteil ist der Fall.

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