Euthanasie-Opfer erhielten Gedenkort

Auch Behinderte aus Datterode wurden ermordet

Der Veranstaltungstag hätte besser nicht gewählt werden können. Am Vorabend des diesjährigen Himmelfahrtstages, dem 29. Mai, war der Vorstand des HVD eingeladen, an der Veranstaltung zur Einweihung der Gedenkinstallation am „Café Brise“ von „Aufwind – Verein für seelische Gesundheit e. V.“ in Eschwege teilzunehmen. Die persönliche Einladung war Ausfluss der jahrelangen Arbeit im HVD, sich mit den Tabuthemen Euthanasie und Zwangsterilisation während der Nazi-Zeit in Dorf und Region auseinanderzusetzen. Dekan des Kirchenkreises, Dr. Martin Arnold, ist es im Besonderen zu verdanken, dass dieses Kapitel der Nazi-Diktatur auf dem Land aufgearbeitet wurde, um den ermordeten Menschen ihren Namen und damit ihre Würde posthum wiederzugeben.

Der Kasseler Künstler Lutz Kirchner hat im Zusammenwirken mit „Aufwind“ Namensplatten für die Opfer aus dem Altkreis Eschwege geschaffen, die an den Traufen des Cafés angebracht wurden und damit die Ermordeten vor der Vergessenheit bewahren. Die Symbolhaftigkeit der Installation ist mit Blick auf Lukas 10, Vers 20, nicht besser zu wählen gewesen, dass nämlich die Namen im Himmel geschrieben sind. Und Passanten schauen nun zu den Namen auf. Dazu führt der QR-Code auf einer Erläuterungstafel am Eingang zu den Lebensläufen der Opfer.

Eine bewegende Andacht in der Marktkirche und viele treffende Worte zur Einweihung des Gedenkortes unterstrichen die besondere Bedeutung einer Gedenkkultur. Man schätzt, dass im damaligen Deutschen Reich rund 300.000 psychisch Erkrankte ermordet wurden. Die heute unfassbare Mordserie der Euthanasie – aus dem Griechischen etwa „der schöne Tod“ – wurde von Hitler persönlich mit einer Anordnung vom 1. September 1939 (zumindest ist sie so datiert) in Gang gesetzt.

Unter den ersten Opfern der Euthanasie war der Datteröder Josef Pfifferling (*11.07.1870), der aufgrund seiner Erkrankung in der Anstalt Haina untergebracht war. Mit in Haina auch der Sohn des jüdischen Schullehrers aus Netra, David Kaschmann. Beide wurden mit 11 weiteren jüdischen Patienten aus Haina am 25. September 1940 in das Anstalts-Sammellager der Gießener Heil- und Pflegeanstalt verlegt. Dort wurden 126 jüdische Patientinnen und Patienten zuvor definierter Anstalten zusammengefasst. Die älteste Patientin war 79 Jahre alt, die jüngsten waren zwei Jugendliche im Alter von 14 bzw. 15 Jahren. Nach fünf Tagen und fünf Nächten unter erbärmlichen Umständen werden die Patientinnen und Patienten am 1. Oktober 1940 in die Stadt Brandenburg bei Berlin verlegt. Dort befand sich ein „Euthanasie“-Mordzentrum im „alten Zuchthaus“, in dessen Erdgeschoss ein Vergasungsraum („Baderaum“) von 15 Quadratmetern zur Aufnahme von jeweils 20 Menscheneingebaut war. Alle 126 jüdischen Patienten aus dem Sammellager Gießen werden dort noch am selben Tag ermordet.

 

 

 

 

Ein zweites Opfer aus Datterode war Edmund Siemon. Er wurde am 26.4.1905 als Sohn des Maurers Johann Wilhelm Siemon und seiner Ehefrau Dorethea Elisabeth geb. Wolf in Datterode geboren. Da keine Patientenakte erhalten ist, wissen wir nur sehr wenig über ihn. Nach mündlichen Überlieferungen soll er geistig behindert gewesen sein. Er starb am 24. April 1942 in der „Zwischenanstalt“ Weilmünster – höchstwahrscheinlich an Hunger und medizinischen Versuchen. Edmund Siemon wurde in einem Massengrab der Anstalt bestattet. Auf der Namenstafel ist er vermerkt. Sein Tod wurde im Standesamt Wichmannshausen vermerkt.

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