Das Backhaus

Viele Jahrzehnte waren Gemeinschaftsbackhäuser Dreh- und Angelpunkt der dörflichen Gemeinschaft und Begegnungsstätten. In ihnen wurde gebacken, gebraten, gegart, gedörrt, Obst für den Winter haltbar gemacht (vorwiegend Birnen und Zwetschgen – „Hoozeln un därre Kwätschen“). Lange bevor es Zeitungen oder gar Radios gab, kamen Nachrichten aus den Wirtshäusern, den Spinnstuben, aber überwiegend aus den Backhäusern. Während das Brot und der Kuchen garten, wurde über alles Mögliche geredet, geschwätzt, manchmal auch hinter vorgehaltener Hand getuschelt: „Hät’s denn schon gehorrt, der und der muss freie“ (habt’s denn schon gehört, der und der muss heiraten). Aber das alles ist schon lange her.

In Datterode gab es insgesamt sechs Gemeinschaftsbackhäuser, die von der politischen Gemeinde gebaut wurden. Sie mussten aber mit allem Drum und Dran von der Backgemeinschaft unterhalten werden. Bevor jedoch das erste gebaut wurde, befand sich in vielen Häusern ein hauseigener Backofen. In der Vergangenheit war es immer wieder zu kleineren Bränden gekommen, die sich oftmals bedingt durch primitive Bauweise des Ofens, ganz besonders aber wegen der mit Stroh gedeckten Hausdächer, zur Katastrophe ausweiteten.

Aus diesem Grund wurde 1612 auf dem Anger unter der Glocke bekannt gemacht, die hauseigenen Backöfen sofort stillzulegen. In gesicherten Abständen zu der übrigen Bebauung sollen Gemeinschaftsbackhäuser gebaut werden. Der Dreißigjährige Krieg, der 1618 ausbrach, machte dieses Vorhaben zunichte. Die Bewohner, die mit dem Schrecken davongekommen waren (Datterode wurde 1637 ebenfalls gebrandschatzt; vgl. Geschichte) hatten andere Sorgen. Mit dem, was Ihnen verblieben war, versuchten sie sich wieder notdürftig einzurichten. Dazu gehörte nun einmal ein Dach über dem Kopf und ganz besonders auch, der hauseigene Backofen, um sich mit dem Lebensnotwendigen versorgen zu können. Damit blieb aber auch die Brandgefahr immer gegenwärtig. Selbst Katzen, so ist überliefert, die es sich an der warmen Glut gemütlich machten, sollen Brände verursacht haben. Um diese Gefahr ein für alle mal auszuschließen, werden 1739 die Bürgermeister aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass sämtliche offenen Feuerstellen mit Feuer hemmenden Türen versehen werden.

 

Der Siebenjährige Krieg (1756 – 1763), der auch in den heimischen Wäldern große Verwüstungen anrichtete, war letztlich ausschlaggebend, das Ganze zu verändern. In einem Aufruf hieß es unter anderem: „Wegen des enormen Holzverbrauches in den hauseigenen Backöfen müssen umgehend in jedem Dorf ein bis zwei Gemeinschaftsbackhäuser gebaut werden.“ Warum die Gemeinde Datterode jedoch erst 75 Jahre später dieser Aufforderung nachkam, ist nicht bekannt. 1842 wurden die ersten zwei Backhäuser gebaut. Im Unterland (heute „Alte Straße“) an der „Steingasse“, eingetragen im Brandkataster unter Nummer 59 ½.

und unweit der Hauptstraße am Aufgang zum „Kirchrain“ mit der Nummer 67 ½.

Ein Jahr später, 1843, zwei weitere Backhäuser, in der Hintergasse (heute „Brunnenstraße“), Ecke „Enge Gasse“ mit der Haus-Nr. 22 ½

und das vorläufig letzte neben der Hauptstraße (heute „Leipziger Straße“) am „Weibersbach“ („Wieberschbach“), gegenüber der Einmündung zur Hintergasse mit der Nr. 84 ½.

Wegen der steigenden Einwohnerzahl um 1900 war auch eine rege Bautätigkeit zu verzeichnen. Durch diese Entwicklung reichte auch die Kapazität der vorhandenen Backhäuser nicht mehr aus. Als nächstes wurde ein Backhaus mit angebauter Großviehwaage am Anger gebaut, eingetragen im Brandkataster unter der Nummer 18 ½.

Das Backhaus mit angebauter Großviehwaage am Anger in den 1960er Jahren

 


Für die Bewohner im „Hasselbach“ und dem „Falltor“ war der Weg zum Backhaus über den Kirchrain ganz besonders bei schlechtem Wetter eine beschwerliche Angelegenheit. Einen „breiten Kuchen“ (Blechkuchen) links und eine rechts unterm Arm, oder gar die Backdiele („Backdeel’n“) mit sechs großen Broten auf der Schulter war für die Frauen, die nun einmal für das Backen zuständig waren, eine enorme Anstrengung.

Frauen mit der „Backdeel’n“ voll Brote; links auf dem Weg zum Backhaus im Unterland,
rechts mit frisch gebackenem Brot am „Wieberschbach“- Backhaus
(v. l. n. r. Christine Beck, Marlene Hose, Minna Hartung - alle +)

 

Im Februar 1936 ging endlich der Wunsch der Anwohner von „Hasselbach“, „Falltor“ und „Stadtweg“ in Erfüllung. Das sechste und letzte Backhaus wurde im „Hasselbach“, im ehemaligen Pfarrgarten unweit der „Battenberg-Linde“ (vgl. Linde am Barbarossabrunnen) errichtet. Es stand mit dem Eingang zum Hasselbachweg und mit der Rückseite zur heutigen Schwimmbad-Zufahrt.

Die Freude der Backgemeinschaft über das neue Backhaus war jedoch nur von kurzer Dauer, denn infolge der Gestaltung der Schwimmbad-Zufahrt und der Neuvermessung der Anliegergrundstücke wurde es Anfang der 1960er Jahre wieder abgebrochen.

Inzwischen hatte allerdings auch die Backtätigkeit in den öffentlichen Backhäusern merklich nachgelassen. Einige Jahre nach der Währungsreform (1948) war schon fast in jedem Haushalt ein moderner Gas- oder Elektroherd anzutreffen. Hinzu kam, dass 1948 gleich zwei Bäckereien (Jäger und Mark) ihren Betrieb eröffnet hatten. Täglich frische Brötchen und Brote, was wollte man mehr? Selbst auf den sogenannten „breiten Kuchen“, der bei besonderen Anlässen nicht fehlen durfte, brauchte man nicht zu verzichten. Zu Hause vorgefertigt, wurde er gegen Entgelt vom Bäcker gebacken. Vieles war bequemer geworden. Man brauchte kein Backholz mehr zu machen, den Ofen nicht mehr aufzuheizen usw. Die Folge war, dass ein Backhaus nach dem anderen aus dem Dorfbild verschwand. Zuerst die beiden, teilweise auf Privatgrund stehenden Backhäuser am Kirchrain (Grundstück Vogler) und in der Hintergasse, Ecke „Enge Gasse“ (Grundstück Hartmann).

Das Backhaus am Weibersbach wurde jedoch noch über Jahre weiter öffentlich genutzt. Für zahlreiche Feriengäste des Dorfes, überwiegend aus Westfalen und dem Hamburger Raum, war der allwöchentliche Backtag etwas Außergewöhnliches. Das Anheizen des Ofens, das Ein- und Ausschießen von Brot und Kuchen wurde aufmerksam verfolgt. Wenn dann auch noch, was nicht selten vorkam, eine kleine Kostprobe von dem schmackhaften Brotkuchen gereicht wurde, war man des Lobes voll.

Links im Bild eine Frau Fischer, Feriengast aus Hamburg, mit Datteröder Frauen
v. l. n. r. Elise Weißhaar (+), Elise Hose (+), Emma Schindler (+), Viktoria (Dora) Hartmann (+)
am „Wieberschbach“-Backhaus Anfang der 1960er Jahre

 

 

Feriengast Gertrud Steichert aus Werl in Westfalen (vgl. Geschichte Heimatverein) 1958: „Den Geschmack gibt es nirgendwo zu kaufen, den gibt es nur in Datterode im Backhaus.“ Den Brotkuchen, auch als Speck- oder Zwiebelkuchen bekannt, nennt man in Datterode „Lusekochen“ (Losekuchen). Einmalig der Geschmack mit geriebenen Äpfeln oder gar mit Heidelbeeren, die es in den Eichenschälwaldungen rund um Datterode, solange noch Loh geschält wurde, in Hülle und Fülle gab.

 

Im Zuge der Verbreiterung der Ortsdurchfahrt (Bundesstraße 7) wurde das Backhaus am Weibersbach abgerissen (der gleichen Maßnahme fielen vier Fachwerk-Wohnhäuser, namentlich der Familien Sippel, Sandrock, Beck und Gebhardt sowie ein Teil der ehemaligen Gaststätte Christian Munk, „Christels Jägerheim“, heute noch „Christels“ genannt, zum Opfer.

In dieser Zeit bemühte sich die Gemeinde Datterode bereits um das Prädikat „Staatlich anerkannter Erholungsort“. Nicht zuletzt aus diesem Grunde versuchten die ersten Zimmervermieter, das Backhaus am Anger in die Fremdenverkehrswerbung einzubeziehen und es darüber hinaus für die Nachwelt zu erhalten. 1962 waren aber nicht nur das Backhaus, sondern auch die historische Angermauer, die sechs Kastanienbäume und die Dorflinde auf dem Anger aus dem Ortskern verschwunden. Nicht überall fanden diese Maßnahmen Zustimmung. Das älteste Backhaus an der Steingasse, erbaut 1842, überlebte die Abrisskampagne. Ende der 1970er Jahr wurde es von einer Hand voll heimatverbundener Männern bis auf den Ofen rundum erneuert. Es wird bis heute – jedoch hauptsächlich zur Zubereitung von Spanferkeln – genutzt, wenn auch der Zahn der Zeit an ihm nicht spurlos vorbei gegangen ist.

 

Der Heimatverein, dem insbesondere der historische Anger und dessen Umfeld am Herzen liegen, hat im Jahre 2002, nahe des historischen Standortes am Anger, ein neues Backhaus errichtet. Von Grund auf wurde nach historischen Vorlagen und mit altem Handwerk (Zimmermann Walter Wieditz/Maurer Hans-Werner Hose) in ungezählten freiwilligen Arbeitsstunden eine allseits beliebte Einrichtung geschaffen, die nicht nur dem Backen des überaus beliebten Backhausbrotes und des „Lusekochens“ dient, sondern mit ihren Möglichkeiten eine große Bereicherung bei den unterschiedlichsten Veranstaltungen rund um den Anger ist.

Dass insbesondere aber – auch in Verbindung mit dem historisch korrekt neugestalteten Anger (vgl. Der Anger) und dem „Gänsekerl-Denkmal“ (vgl. Gänsekerele (Fotoarchiv)) – das Dorfzentrum eine optische Bereicherung erfahren hat, ist unbestritten. Mögen viele kommende Generationen unser Backhaus nutzen und erfahren, wie hart und schwer es sein kann, das tägliche Brot auf den Tisch zu bekommen; aber auch, wie köstlich diese lokale Spezialität ist. Ein Geschmack, der von keinem noch so guten Bäcker je erreicht werden wird. Wenn Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, die Chance bekommen, probieren Sie das Datteröder Backhausbrot. Sie werden uns zustimmen!

Unser Ehrenvorsitzender Karl Beck schrieb folgendes in unserer Mundart gehaltenes Gedicht zur Einweihung des neuen Backhauses am Anger:

Dande Eliese

Kummo rewwer, ech well de mo woas wiese,
doas neuwe Backhüs uff ahlem Gründ,
Scheene esses worrn die Jungen hann echt woas gekounnt.
D’r Reinhard un sinn Friedchen hanns glich üsbrowiert.
HÄ häts Fier gemacht, un ES hätt’n Deich gesiert.
Met em Wellchen Höls un em Oarm vull Beechen Stang’n,
Zweihünndert Groad, brüchst nit veele Backhöls mehr z’ langen.
Groadeüs werd ingeschossen, nit quär,
erscht doas Brud un denn den Kuchen hinger här.
Hann goar gekleibet, des’ses nach su veel Liede gibt,
dän doas selwer gemachte Brud su gut schmeckt.
Eu där Lusekuchen mit Äbbel oder Zebbel un Späck,
su schnell kannste goar net g’gügge, do esse weg.
Määchen hässt Rächt, backt widder unse Brud,
dänen, die hinger üch drinne kummen, schmeckt’s genäu su gut.
Wie zu allen Zieten, ohne Räuch kenn Fier,
ohne Hubben un Mals eu kenn gescheides Bier.
Endlich hätt unser Anger wedder enn Gesecht,
s’äs gut, dess’n dach nach su henn hann kricht.
Eu das neuwe Backhüs äs änn gut gelungen,
se sunn scheene bedankt se, die Jungen.
Wenn’s Backhüs räucht un die Kastännerchen blehn,
in Gedanken die ahlen Zieten v’rräbber wehn.

Für die Mundartunkundigen hier die Übersetzung:

Tante Eliese

Komm mal rüber, ich will dir mal was zeigen,
das neue Backhaus auf altem Grund,
schön ist’s geworden, die Jungen haben wirklich was gekonnt.
Der Reinhard und sein Friedchen haben es gleich ausprobiert.
Er hat mit Holz gefeuert, und sie hat den Teig gesäuert.
Mit einer Welle Holz und einem Arm voll Buchenstangen,
zweihundert Grad, nach viel Backholz kein Verlangen.
Eingeschossen wird geradeaus, nicht quer,
erst das Brot und dann den Kuchen hinter her.
Hab’ nicht geglaubt, dass es noch so viel Leute gibt,
denen das selber gemachte Brot so gut schmeckt.
Auch der Brotkuchen mit Äpfeln oder Zwiebel und Speck,
so schnell kannst du gar nicht gucken, da ist er weg.
Mädchen, hast Recht: Backt weiter unser Brot,
denen die hinter euch drein kommen, denen schmeckt es genauso gut.
Wo es raucht, ist auch Feuer, wissen wir,
ohne Hopfen und Malz auch kein gutes Bier.
Endlich hat unser Anger wieder ein Gesicht,
es ist gut, dass sie ihn doch noch so hingekriegt.
Auch das neue Backhaus ist ihnen gut gelungen,
sie soll’n auch schön bedankt sein, die Jungen.
Wenn das Backhaus raucht und die Kastanienbäume blühn,
in Gedanken die alten Zeiten vorüber ziehn.

Impressionen rund um die Backhäuser

Nutzungordnung für das Backhaus

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