Ein Ort auf gerodetem Gebiet, auf „Röt“, ist auch Lautenbach, heute Domäne, früher ein Dorf – der Flurname „Alte Kirche“ erinnert daran; auch diese Siedlung kann man eher der dritten als der zweiten Siedlungsperiode zuschreiben. Dasselbe gilt von einigen Wüstungen im Umkreis der Boyneburg. Diese kleinen Niederlassungen sind sicher erst entstanden, als die Festung im 11. Jahrhundert politische Bedeutung gewann.“
Auch wenn vorgeschichtliche Siedlungen in den verbleibenden Ortsteilen der politischen Gemeinde Ringgau wahrscheinlich sind, so sind wohl die Ortsteile Datterode, Röhrda, Lüderbach und Grandenbornspätestens in der dritten Siedlungsperiode gegründet bzw. auf Dauer besiedelt worden.
Resümee
„Rund 15% der gesamten Siedlungen war schon in der ersten Periode vorhanden. Alsdann setzt in der zweiten eine gewaltige kolonisatorische Tätigkeit ein, und die Hälfte aller Wohnplätze dieser Zeit entstanden. In der dritten Periode ist schon ein deutliches Nachlassen der siedlerischen Tätigkeit zu bemerken. Irgendwelche größeren Siedlungen als Einzelgehöfte, Mühlen, Güter, Ziegeleien sind seit Ablauf der dritten Periode bis zur Gegenwart im Gebiet des Ringgaus und seines Vorlandes nicht mehr entstanden; daher kann man den Abschluss der Siedlungsperiode überhaupt am Ende der dritten Periode setzen.
Die Einordnung der Ortschaften im Einzelnen in die bestimmten Perioden ist oft recht schwierig, zuweilen fast unmöglich; nur gelegentlich sind genaue Angaben vorhanden. So lassen sich die Siedlungsperioden auch nur im Allgemeinen und Großen aufstellen.
Eine Periode der vorgeschichtlichen Siedlungen aufzustellen, ist unterblieben. Bei Zeiträumen, die sich über Jahrtausende erstrecken, kann man davon nicht reden. Für die einzelnen archäologischen Abschnitte liegen jeweils nicht genug Funde vor, um Einzelperioden der Vorzeit aufstellen zu können. Diese ganze Zeit aber zur ersten Periode zu rechnen, und die Ortschaften, bei denen die vorgeschichtlichen Funde gemacht worden sind, als die ältesten anzusehen, war deshalb untunlich, weil nirgends der Zusammenhang der Siedlung von der Vorzeit bis zu unserer ersten Periode bewiesen ist. Auch kann man bei der gegenseitigen Beziehung von vorgeschichtlicher und germanisch-deutscher Ansiedlung natürlich nur von annähernd demselben Siedlungsplatz sprechen, niemals von derselben Ortschaft, womöglich mit dem heutigen Namen.
Die immer betonte Absicht, dass Siedlungsraum und Siedlungsgelände vom Neolithikum bis zur Völkerwanderung in Deutschland gleich geblieben seien, wird dabei keineswegs widerlegt, sondern nur bewiesen. Auch im Ringgau ist diese Tatsache zu beobachten. Auf die weitgehende Übereinstimmung des Siedlungsraumes im Werratal und an einigen Stellen der Ringgauhochfläche bezügliche der vorgeschichtlichen und der relativ älteren Ansiedlungen der drei Perioden ist ja hingewiesen worden.
In der germanisch-deutschen Zeit gehörte zur Zeit der Völkerwanderung das Ringgaugebiet den Thüringern. Es war für die damaligen Verhältnisse vielleicht nicht schwach besiedelt, und es drückten sich bestimmte Gruppen von Ansiedlungen aus: Die Werratalniederung und der eigentliche Ringgau. Hier wie dort stand den Siedlern der Waldsteppenboden zur Verfügung. Die Löß- und Auelehm-Terrasse der Täler bot guten Ackerboden, die Muschelkalkhochfläche leidliche Bedingungen zur Viehzucht. Dagegen waren große geschlossene Waldgebiete rings um die Muschelkalktafel noch unbesiedelt.
Das Eindringen der Franken schuf neue Verhältnisse. Die Bevölkerung wird langsam von fränkischen Militärposten und Ansiedlern durchsetzt. Die -hausen-Siedlungen in den Tälern sind Stützpunkte der fränkischen Eroberer. Andere Siedlungen auf -dorf und -feld zeigen Gründungen fränkischer Kolonisten an. Nachdem der Waldsteppenboden besetzt ist, dringt man allmählich gegen den geschlossenen Wald vor. Dies geschieht von den schon besiedelten oder zugänglichen Tälern aus. Hier dürften die Mittelpunkte für die weitere Ausbreitung gelegen haben; daraus könnte sich vielleicht auch noch die Häufung von Wüstungen rings um einige günstig gelegene Dörfer erklären, wie Ulfen, Herleshausen und Grebendorf.
Der Übergang von der zweiten zur dritten Periode ist im Ringgaugebiet bei weitem nicht so ausgeprägt wie der von der ersten zur zweiten. Es ist vielmehr für beide, die zweite und dritte Periode, Rodung anzunehmen, deren Umfang und Gründlichkeit freilich in langsamem Wachsen begriffen und während der dritten Periode auf dem Höhepunkt ist.
Man kann auch von einer allmählichen Steigerung der Rodungen zur dritten Periode hin sprechen, so dass kein strenger Abschluss zur zweiten Periode gegeben ist. Das Eindringen römisch-kirchlichen Wesens und römisch-kirchlicher Organisation, deren Träger die Nachfolger Winfried-Bonifatius waren und die Ausbreitung der fränkischen Grundherrschaft gingen nebeneinander her; die zweite Einrichtung wird sogar noch früher in Erscheinung getreten sein als die erste. Beide schufen die technischen und materiellen Vorbedingungen zur Ausführung der Rodungen großen Stils, die nur von größeren Gruppen von Ansiedlern, auf einem wirtschaftlich leistungsfähigen Rückhalt gestützt, vorgenommen werden konnten. Notwendigkeit oder Unkenntnis führten dazu, dass man tiefer in das zur Bewirtschaftung wenig geeignete Waldgelände vordrang. Es entstand allmählich eine große Anzahl von Dörfern und Kleinsiedlungen, oft eng beieinander. Damit war jedoch der Höhepunkt erreicht; die zweite Hälfte des Mittelalters weist eine erhebliche Verminderung der Ortszahl auf.
Im 10. Jahrhundert muss die Kultur des Gebietes schon auf einer beträchtlichen Höhe gestanden haben. Die Urkunden Ottos II. und Ottos III. sprechen davon, dass um Eschwege und am Ringgau Besitzungen der kaiserlichen Familie gelegen haben. 974 schenkte Otto II. das Gut zu Eschwege seiner Gemahlin Theophano; 993 verschenkte sein Sohn drei Höfe in Gangestal am Ringgau an das Kloster Hersfeld. Auf der Flucht von der Harzburg im Jahre 1073 kam Heinrich IV. am 12. August in Eschwege an und erreichte am 13. Hersfeld. In damaliger Zeit setzt die Bewältigung einer Entfernung von rund 50 km in einem Tage, im bergigen Gelände, mit Überwindung der Werra-Fulda-Wasserscheide, selbst für einen Reiter recht günstige Wegeverhältnisse voraus.
Ein Grund für das Eingehen mancher Dörfer, der wenig erwähnt wird, ist mit Sicherheit auch in den Seuchen zu suchen, die um die Mitte des 14. Jahrhunderts Deutschland entvölkerten. Es ist durchaus vorstellbar, dass in mancher kleinen Ansiedlung die Bevölkerung bis auf den letzten Mann der Pest zum Opfer gefallen sein kann. Das Wüstwerden vieler Ortschaften fällt in dieselbe Zeit, in der das Land unter Seuchen zu leiden hatte. Dass die Erinnerung an die ausgegangenen Ortschaften zum Teil noch heute im Volke lebendig ist, davon konnte ich mich selbst an mehreren Orten im Ringgau überzeugen.“
Und auch im Ringgau und im Datterode des 21. Jahrhunderts sind viele dieser Ortsnamen noch lebendig (vgl. „Wüstungen um Datterode“).
Die Lage der Ansiedlungen
Hier beschränken wir uns auf die Darstellung der Ortsteile der heutigen politischen Gemeinde Ringgau (auch sind die Wüstungen weitestgehend unberücksichtigt):
„Netra liegt auf dem Grund der Mulde, nicht zu beiden Seiten des Baches, der ihm den Namen gegeben hat, sondern einseitig, auf der nördlichen Seite. Netra ist horizontalsohlenständig. Seitliche Taleinschnitte sind hier nicht maßgebend. Für die Wahl der Siedlung sprechen ähnliche Gründe, wie bei den Siedlungen des Werratals: Waldsteppengelände, fließendes Wasser. Dazu kommt bei Netra die Lage an dem alten Durchgangsweg, den die Grabenzone immer dargeboten hat.
Rittmannshausen, zwischen Ifta und Netra gelegen, beherrscht die Wasserscheide; ob es aber einer der alten Stützpunkte fränkischen Macht- und Herrentums gewesen ist, lässt sich sehr bezweifeln. Rittmannshausen wird urkundlich nicht erwähnt, liegt auf einem Boden, der in der Regel nicht früh besiedelt wurde und ist auch heute noch recht unbedeutend. Vergleicht man Rittmannshausen mit den benachbarten Dörfern Netra, Lüderbach und Ifta, so fällt auf, wie klein und ungünstig gelegen die von Rittmannshausen ist. Der größte Teil ist der landwirtschaftlich ungünstige „Untere Muschelkalk“, und deshalb heute auch forstwirtschaftlich ausgenutzt, was freilich heutzutage auch für den Bauern einen großen Wohlstand bedeutet; aber ursprünglich lagen diese Verhältnisse ja nicht so.
Lüderbach weist im Gegensatz zu Rittmannshausen alle Vorzüge eines Siedlungsplatzes auf, abgesehen von einem: Der Lage am Hauptverkehrsweg. Zwei kleine Täler vereinigen sich hier. Lüderbach liegt mit Kirche und Anger und dem darum gruppierten Ortsteil auf dem Ausläufer des Liebersbergs. Die Wege führen von Norden und Süden steil zum Kirch- und Angerplatz hinauf. Dieser Platz muss unbedingt die erste Ansiedlung getragen haben; er ist groß genug für eine solche alter Zeiten. Im Bachtal hat sich die Ortschaft ausgedehnt; möglich, dass die Mühlenanlage – zwei Wassermühlen liegen im obersten Dorfteil – der Anfang dazu war. Lüderbach hat Hügelspornlage. Geschützte Lage, fließendes Wasser; in den Bachtälern Wiesengründe und an den sanft geböschten Abhängen bequem zugängliche Felder begünstigen den Platz.
Röhrda liegt wie Lüderbach am Rand der Grabenzone und ist ebenfalls ein äußerst günstiger Siedlungsplatz. Mittlerer Keuper bildet hier unterhalb des Muschelkalks eine nicht ausgedehnte, aber ebene Terrasse über dem Tal, das heute Wiesengrund ist und ehemals sehr feucht gewesen sein muss, worauf die Flurnamen schließen lassen. Unmittelbar über der Terrasse entspringt eine an die Verwerfung gebundene Spaltenquelle, die wasserreich genug ist, um sofort im Dorf eine Mühle in Bewegung zu setzen. Die Quelle hat einen großen teil des Bodens von Röhrda mit Klaktuffablagerungen überzogen. Die Terrasse, erhöht über der Talsohle, im Rücken eine Nische in der Bergwand, dazu das Vorhandensein der Quelle stempeln Röhrda zu einem Siedlungsplatz ersten Ranges. Tatsächlich beweisen schon steinzeitliche Funde die Gunst dieser Örtlichkeit. Die alte Form des Ortsnamens Rorinriet gibt freilich keinen Aufschluss. Man nimmt die dritte Periode an. –riet kann „gerodeter Platz“ bedeuten oder: Mit Riedgras (Sumpfgras) bewachsenes Gelände.
Datterode liegt netraabwärts schon außerhalb des Muschelkalkgebiets in einem recht engen Talstück, das nur durch die Einmündung des Hasselbachtals von Nordosten und eines unbedeutenden Nebentals von Süden eine Hervorhebung erfährt. Datterode ist sohlenständig; es liegt ungünstig – was sich noch heute in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Dorfes widerspiegelt – und hat als junge Siedlung nicht die Möglichkeit gehabt, den Platz zu wählen. Für die Ansiedler mochte die Nische des Hasselbachtals anziehend wirken. Die Kirche, aus dem 16. Jahrhundert (Anm.: Die Kirche in ihrer Grundform ist weitaus älter – siehe unter „Die Kirche“), liegt seitlich, hoch über der Talsohle am Eingang ins Hasselbachtal. Das Dorf im Ganzen fand aber auf der steilen Böschung keinen Platz und war genötigt, sich auf der Talsohle auszubreiten. Eine weitaus günstigere Lage hat das benachbarte Gehöft Harmutshausen, das sicher älter als Datterode ist. Es liegt in einer weiten, zirkusförmigen Nische des Muschelkalkabhangs, unterhalb der Rötterrasse und im Quellenhorizont. Eine Reihe von Wüstungen werden namhaft gemacht, die in und an der Grabenzone und im unteren Netratal anzunehmen sind. Die älteren, wie die auf -hausen (Wellerhausen, Helmarshausen), dazu das noch vorhandene Harmutshausen und die auf -bach (Hasselbach, Rettelbach) müssen einengend bei der Anlage von Datterode gewirkt haben, denn sie sind älteren Ursprungs. Nur die Lage von Wellershausen ist zu kennzeichnen: sohlenständig.
Renda liegt so versteckt, dass man, auf der freien baumlosen Hochfläche stehend, auf 750 m Entfernung nicht einmal die Kirchturmspitze sieht. Es hat die vollkommenste Nestlage. Von Nordwesten, Norden, Osten und Südosten laufen flache Mulden zusammen und vereinigen sich in Renda zu dem bald tief eingeschnittenen Rendatal, das zunächst südwärts verläuft. Dieses ist wie das Ölbachtal zu eng und ganz ungeeignet, eine Ansiedlung aufzunehmen. Nur an dem Zusammentreffen der Mulden bot sich ein geschützter, leidlich geräumiger Platz. Das heutige Dorf ist allerdings schon genötigt, sich bis zum oberen Rand der Abhänge auszudehnen. Winklig und eng ist das ganze Dorf gebaut, keine Straße eben. Obwohl es in mehreren Abflussrinnen der Hochfläche liegt, leidet es doch oft unter starkem Wassermangel und ist in dieser Hinsicht von allen Dörfern des Ringgaues am schlechtesten gestellt. Auf fließendes Wasser ist naturgemäß nur bedingt und zeitweise zu rechnen, und die Brunnen versiegen in Trockenzeiten ebenfalls. Doch ist Renda der Platz, der sich wegen seiner vollendeten Nestlage in weitem Umkreis auf der Hochfläche am besten zur Ansiedlung eignet, und deshalb darf man hier, zumal bei dem alten Namen, eine recht frühe Ansiedlung ansetzen.
Grandenborn liegt freier als das Nachbardorf Renda, es hat eher Mulden- als Nestlage, aber doch immerhin eine verhältnismäßig geschützte Muldenlage. Die Auflagerung von Lehm gibt der ganzen Örtlichkeit ein überaus bezeichnendes Gepränge. Ausgedehnte Obst- und Weidegärten im Dorf und ein frischgrüner Wiesengrund östlich vom Dorf schaffen ein höchst freundliches Bild und bieten zu der sonst kahlen Hochfläche einen starken Gegensatz. Einzigartig ist das Vorhandensein eines Teiches, der einer wasserundurchlässigen Schicht im Untergrund sein Dasein verdanken muss. Er ist doppelt auffällig, weil er fast am höchsten in der Mulde liegt. Diese, welche selbst einen kleinen Sattel bildet, kann ihre Feuchtigkeit nur dem Vorhandensein höherer Erhebungen nördlich wie südlich verdanken. Dass die Ansiedlung nicht weiter westlich liegt, wo ja auch Diluvialboden ist, zudem eine größere Fläche, ist doch vielleicht dem Vorhandensein des Teiches zuzuschreiben, dessen Nähe den Menschen anzog. Von dem Teich abgesehen, ist die eine Stelle so günstig wie die andere. Grandenborn ist auf Zisternenwasser angewiesen. Mehrere Zisternen versorgen das Dorf. Er Name spiegelt die Geländeverhältnisse wider. Die eine alte Form Graneburne enthält gran = junger Wuchs, born = Quelle. Die andere freilich, Grandeburnen, würde „Kiesbrunnen“ bedeuten. Sprachlich hat die zweite, in Hinsicht auf das Geländedie erste Deutung Wahrscheinlichkeit. Die Eignung des Platzes für die Besiedlung ist unbestreitbar. Bereits neolithische Funde beweisen, dass er den Menschen angelockt hat; zugleich ein Beweis, dass das Gelände hier schon für ursprüngliche Menschen betretbar war. Im weiten Umkreis von Grandenborn liegen eine Reihe von Wüstungen, deren Lage im einzelnen nur schwer zu bestimmen ist.“
Straßen und Verkehr
„ Der Einschnitt, den der Netra-Iftaer Grabenbruch in der Muschelkalktafel hervorgerufen hat, zeichnet eine natürliche Verkehrslinie von alters her vor: Diese Verbindung von Thüringen nach Niederhessen muss uralt sein. Seit dem späteren Mittelalter wird sie ein teil der großen Verkehrslinie Kassel-Eisenach-Leipzig. ……… Neben der Leipziger Straße verläuft als zweite Hauptlinie die Nürnberger durchs Ulfetal auf Berka zu. Beide waren große Durchgangsstraßen, ursprünglich mit Straßenzwang, d. h. der Verkehr musste sie benutzen und mit Zöllen belastet.
Die Leipziger und die Nürnberger Straße sind die beiden Hauptverkehrswege, die das Ringgaugebiet durchschneiden oder berühren. Eine dritte Hauptlinie streift das Gebiet im Osten, ohne für dieses von größerer Bedeutung zu sein. Es ist eine Straße von Nord- nach Süddeutschland, die von Hildesheim über Osterode, Duderstadt, Dingelstädt, Küllstedt, Struth, Nazza führt, das Ringgaugebiet in Mihla am Ostrande streift und von dort nach Eisenach weiterführt. Zahlreicher sind Neben-, Abzweiger-Linien und minder berechtigte, weniger verkehrsreiche Straßen im Ringgaugebiet.
Die Zollstätte Ulfen veranlasste im 16. Jahrhundert die Fuhrleute, sie auf der Linie über Wommen zu umgehen. Sie fuhren von Berka an der Werra entlang und von Wommen auf den Ringgau hinauf, in Richtung Alte(n)feld, von dort nach Datterode-Hoheneiche. Als Aufwege zum Ringgau können die Täler von Markershausen und Frauenborn gedient haben, die noch heute den Verkehr vom Ringgau nach der Eisenbahnstation Herleshausen vermitteln; als Abwege die über Netra oder Röhrda. Als der Schleichweg an der auffälligen Verminderung der Zolleinkünfte in Ulfen bemerkt wurde, verlegte man 1583 die Zollstätte nach Datterode.
Somit wurde das Ringgaugebiet von einer ost-westlichen Hauptlinie geschnitten, von zwei nordsüdlichen gestreift. An diesen haben sich nur zwei Punkte entwickelt: Eschwege und Creuzburg, beide bevorzugt durch die Lage am Flussübergang. Creuzburg erlitt im 18. Jahrhundert derartige wirtschaftliche Rückschläge, dass es sich bis heute nicht wieder erholen konnte.
Als so genannte hohe Straße kann man nur die über den Ringgau führende bezeichnen, vielleicht auch die von Ulfen nach Holzhausen. Alle anderen bevorzugten doch die Flusstäler. Die hohen oder Bergstraßen entstanden ja dadurch, dass man in nassen Jahreszeiten die Talwege schlecht passieren konnte. Und noch im 17. Jahrhundert ist dieser Gesichtspunkt so wichtig wie vielleicht ein halbes Jahrtausend früher.“
Im Folgenden beschreibt der Verfasser das „Zeitalter des Verkehrs in seiner Gegenwart“, das heißt, aus Sicht der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts.
„In der Gegenart, im Zeitalter des Verkehrs, ist die ursprüngliche Bedeutung der Landstarße auf die Eisenbahnen übergegangen (Anm.: Wäre das nicht schön?). Diese modernen Verkehrslinien haben dem Verkehr neue Bahnen gewiesen, alte Verkehrsplätze, die an Straßenknotenpunkten oder Flussübergängen günstig lagen, in ihrer Bedeutung zurückgebracht, neue dagegen emporgehoben. Eine Zeitlang beherrschte die Eisenbahn den Überlandverkehr ausschließlich; erst in neuester Zeit beginnen bei ihm die Kraftwagen für Personen- und Lastenbeförderung eine Rolle zu spielen und damit die Landstraßen wieder im alten Sinn als Verbindungslinien entfernter Landesteile zu benutzen (vgl. „Aus der Geschichte Datterodes“). So sehr sonst seit der Erfindung der Eisenbahnen der Ausbau der Landstraßen gefördert ist, so weitgehend sich auch ihr Netz verdichtet hat: Es geschah doch alles nur unter dem Gesichtspunkt, Zubringerstraßen zu dem neuen, in seiner Wirkung überwältigenden Verkehrsmittel, der Eisenbahn, zu schaffen.
Die Cassel-Eisenacher Straßenlinie, die so genannte sächsische oder Leipziger Straße („die langen Hessen“), ist für eine Eisenbahnlinie nicht in Betracht gekommen. Die Cassel-Eisenacher Bahn ist über Bebra geführt worden, 1849 erbaut. Sie berührt das Ringgauvorland nur an der Südgrenze bei Wommen, Herleshausen und Hörschel. An der Westgrenze, im Wohra- und Sontratal, führt die 1876 vollendete Linie Göttingen-Niederhone-Bebra entlang. Sie wird gekreuzt von der 1879 erbauten „strategischen“ Bahn Berlin-Koblenz, und zwar der Teilstrecke Leinefelde-Eschwege-Niederhone-Treysa. Im Anschluss an diese Linie haben sich von Eschwege ab Nebenbahnen entwickelt; die wichtigere ist die Werratalbahn Eschwege-Wanfried-Treffurt-Mihla-Creuzburg-Wartha, deren Strecke Treffurt-Wartha erst 1907 gebaut wurde; sie erschließt das schöne, aber vom Verkehr abgelegene Werratal. Neu sind ferner Verbindungsbahnen Treffurt-Mühlhausen und Eschwege-Heiligenstadt; es sind beides Gebirgsbahnen. …… Die am meisten in der Mitte gelegenen Ortschaften Lüderbach, Rittmannshausen, Renda und Netra haben beträchtliche Entfernungen von der nächsten Bahnstation, 10 bis 11 Kilometer.
Für die Ganze Westhälfte des Ringgaues und das Ulfetal ist Hoheneiche die Bahnstation, und es ist gewiss kein Zufall, dass gerade dort, neben der Ladestelle des Bahnhofs, eine große moderne Mühle entstanden ist (vgl. „Aus der Geschichte Datterodes“).
Auf der Cassel-Eisenacher Landstraße über Netra bewegt sich heute (bewegte sich damals) ein nur schwacher Durchgangsverkehr. Der Lokalverkehr zieht sich beiderseits der Wasserscheide von Netra abwärts nach Hoheneiche, von Rittmannshausen nach Creuzburg. Das Zwischenstück Netra-Ifta wird vom Lokalverkehr am wenigsten benutzt. Den Postverkehr mit den Eisenbahnstationen vermitteln kleine Gespanne; Personenverkehr ist nicht eingerichtet (nach Erscheinen dieses Werkes wurde Personenverkehr eingerichtet; vgl. „Aus der Geschichte Datterodes“). Die Cassel-Eisenacher Landstraße erlebte zum letzten Male ein geschichtliches Ereignis in den letzten Junitagen des Jahres 1866, als preußische Truppen von Cassel her durch den Ringgau marschierten, um den auf Langensalza vorgehenden Hannoveranern den Weg abzuschneiden (am Ende des Zweiten Weltkrieges nutzen vorrückende US-Truppen diese Straße; vgl. „Aus der Geschichte Datterodes“ und „Veranstaltungsarchiv 2005, Das Kriegsende und das Soldatengrab in Datterode“).
Die äußere Gestalt der Ansiedlungen
Der Siedlungstyp
Auf der Basis von Forschungen auch anderer Wissenschaftler unterscheidet Gehsldorf Einöd-, Waldhufen-, Weiler- und Gewannflurtypen. Diese vorausgesetzt, ist das Gebiet des Ringgaus und seines Vorlandes eines der Gewannflusiedlungen, und zwar beherrschen sie das Bild ausschließlich, wie es bei einem so wenig umfangreichen Gebiet auch nicht zu verwundern ist.
„Die alte Gewanneinteilung ist bei einigen Dörfern auf den Flurnamen noch deutlich zu erkennen, am besten bei Langenhain; in der Regel ist das Bild der ursprünglichen Flureinteilung durch die in den meisten Fällen durchgeführte Separation verwischt. Bei der Einführung der Separation ist auch die Dreifelderwirtschaft verschwunden, und nur einige Ortschaften – unter ihnen Renda, Breitzbach, Schnellmannshausen – haben sie noch ……..
An der Tatsache, dass die Dreifelderwirtschaft die ursprüngliche Flurform war, kann nicht gezweifelt werden. Sie ist aus der Feldgraswirtschaft hervorgegangen, die die Wirtschaftsform der Germanen war. Und dass das niederhessisch-thüringische Gebiet sehr altes Germanengebiet ist, steht fest. Somit ist der heutige Zustand das Ergebnis einer uralten, folgerichtigen Entwicklung. Mit dieser zusammen hat das Germanendorf die seine durchlaufen. Der Begriff Haufendorf ist nur die Grundrissform bezogene Neubezeichnung des Germanendorfes. Es muss noch darauf hingewiesen werden, dass das Gewanndorf die angestammte Siedlungsform der offenen Landschaft ist. Dies entspricht also dem, was in den früheren Abschnitten dieser Abhandlung über die landschaftlichen Verhältnisse des Ringgaus gesagt worden ist, nämlich, dass man eine größeren Teils lichte, mit spärlichem Wald- und vorwiegendem Buschwuchs bestandene Landschaft annehmen muss, die Wald- und Buschsteppe und nur in bestimmten Teilen dichten, geschlossenen Wald.“
Die Grundrissformen der Siedlungen
„Drei Hauptgruppen werden unterschieden: Die Kleinsiedlungen – einzelne Häuser und Gehöfte und Gruppen solcher ohne Dorfcharakter, die Dörfer sowie Flecken und Städte. Die Dörfer gliedern sich in solche, die sich linienhaft erstrecken – Reihen-, Straßen-, Gassendörfer und solche rundlicher Form. Im Wesentlichen finden sich nur Dörfer der letzten Gruppe im Ringgaugebiet, und zwar beherrscht der Typ des Gewann- oder Haufendorfes in mannigfachen Abwandlungen die Grundrissformen. Rundlinge im eigentlichen Sinn des Wortes finden sich überhaupt nicht, ihr Verbreitungsgebiet beginnt erst weiter im Osten. Der reine Typ des Straßen- und Reihendorfes ist ebenfalls nicht vertreten. Überhaupt ist die Bezeichnung „Straßendorf“ nicht glücklich; sie haftet an einem ganz besonderen Typus im slawischen Gebiet, von dem hier nicht die Rede ist. Für lang gestreckte Dörfer im germanischen Gebiet wird der Ausdruck „Kettendorf“ vorgeschlagen.
Für das Ringgaugebiet lässt sich folgende Einteilung rechtfertigen:
- Kleinsiedlungen
- Dörfer:
- kleine Dörfer mit unbestimmtem Grundriss;
- Haufendörfer mit einem erkennbaren Kern;
- solche ohne erkennbaren Kern, mit unbestimmtem Grundriss;
- solche von länglicher Form, im Anschluss an Wege entwickelt;
- solche mit auffallend geraden Wegen;
- Dörfer in extremer Längserstreckung: Kettendörfer.
- Städte
Bei den Haufendörfern mit einem erkennbaren Kern liegt meist ein freier Platz der Gruppierung der Gehöfte zugrunde, und oft ist dieser Platz durch die Gestaltung es Geländes bedingt. Nicht selten ist er nachträglich verbaut worden, so dass es schwer fällt, ihn festzulegen. Die Dörfer, die sich im Anschluss an Wege oder gewisse, durch die Natur vorgezeichnete Linien entwickelt haben, zeigen im Ringgaugebiet zuweilen eine so einseitige Ausbildung, dass hier eine besondere Gruppe eingeführt werden kann, für die die Bezeichnung Kettendorf nicht unangebracht ist. Freilich muss betont werden, dass die Kette der Gehöfte doppelt ist, sich nämlich beiderseits der Dorfstraße entlang zieht……“
Bezogen auf die Ortsteile der heutigen Gemeinde Ringgau lassen sich die einzelnen Dörfer wie folgt zuweisen:
Haufendörfer mit einem erkennbaren Kern:
Lüderbach, Grandenborn (sogar mit zwei Kernen)
Regellos gebaute Haufendörfer:
Datterode, Röhrda, Renda